Das Schwarzau Debakel

 

In den vergangenen Wochen kamen zur Wetterstation Schwarzau immer wieder falsche Infos bzw. Behauptungen auf. Einiges daher vorweg:

Die Station steht nicht an einem Extremstandort, ist in keinem Moor platziert und gehört auch keinem Forschungsprojekt an. Außerdem ist am Standort aktuell keine TAWES Plattform verbaut; trotzdem sind die gemessenen Daten plausibel, bewegen sich in einem geprüften Toleranzbereich und es liegen keine Fehlmesswerte vor.

Nun gehts zum eigentlichen Blogeintrag:

Seit Ende Februar 2022 existiert im Waldviertler Schwarzau eine neue Wetterstation der ZAMG. Es handelt sich dabei aber um keine fixe TAWES, sondern um eine mobile Teststation. Das besondere an der Station ist die geographische Platzierung, da der Ortsteil Schwarzau zwischen Weitra und Karlstift in einer für die Gegend typischen Senke liegt. In vergangen Zeiten war Schwarzau ein auflebendes Holzfällerdorf; heutzutage ist der Ortsteil eine spärlich bewohnte Streusiedlung.

Schwarzau im Waldviertel

Schwarzau im vorigen Jahrhundert; © Erwin Weber – https://www.moorbad-harbach.at/schwarzau

Zweck der Messung

Im Idealfall bildet ein Stationsnetz die meteorologischen Vielfalt einer Region vollständig ab. Den lokalen Begebenheiten angepasst müssen die Stationen somit entsprechend platziert werden. Meteorologische Parameter unterliegen bei passender Umgebung lokal starken Schwankungen. Der fachlich geneigte Leser wird sich nun die Frage stellen, wofür die ZAMG eine Station in einer Waldviertler Streusiedlung platziert. Die Antwort ist bei einem kurzen Blick auf das aktuelle TAWES Netz schnell gefunden:

Das Waldviertel ist geografisch recht vielfältig. Von fast schon bergigen Gebieten, über sehr flache Abschnitte bis zu Hügel- und Tallagen ist alles dabei. Entsprechend unterschiedlich sind auch die gemessenen Parameter. Viele bestehende Stationsstandorte sind aus der Vergangenheit heraus gewachsen und existieren vorrangig wegen der klimatischen Relevanz. Beispielsweise Zwettl seit 1833 oder Jauerling und Weitra seit den 1930er Jahren. Einige dieser Standorte sind nach heute gängigen Normen nur noch sehr eingeschränkt repräsentativ; bleiben für den klimatologischen Aspekt aber bestehen. Somit führt die teils spärliche Stationsabdeckung im Zusammenhang mit den eingeschränkten Standorten zu schwarzen Flecken auf der meteorologischen Landkarte. Synoptisch, als auch klimatisch.

Das beste Beispiel dieser Vielfalt ist das Gebiet des Freiwalds. Größtenteils bewaldet, zeichnet sich der Freiwald nicht nur durch exponierte Hügel und deren Skigebiet aus, sondern auch durch flachen Mulden oder Senken. Das ideale Relief für Kaltluftseen und beständige Inversionen. Die einzige ZA Station in diesem Gebiet ist Weitra; wegen der unmittelbaren Messumgebung und der geografischen Lage ist die Station insgesamt recht warm und bildet eher ein lokales Stadtklima ab. Das südlich von Weitra gelegene Gebiet, wie zB. das Lainsitztal oder die hügelige Landschaft nahe der tschechischen Grenze bis ins Mühlviertel, wird daher meteorologisch unzureichend erfasst.

Dank privater Stationen ist seit geraumer Zeit bekannt, dass gerade dieses Gebiet in Strahlungsnächten sehr tiefe Temperaturminima aufweist. Die Voraussetzungen für die Bildung markanter Kaltluftseen sind nämlich nahezu perfekt… und da kommt die Schwarzauer Testmessung wieder ins Spiel.

Auch die Schwarzauer Senke ist unter Kennern bereits länger ein Thema. Seit 2016 existiert eine private Messreihe. Zusätzlich zeigte eine größere Messkampagne des meteorologischen Insituts für Meteorologie der Uni Wien, unter der Leitung von Prof. Mag. Dr. Manfred Dorninger, weitere interessante Details zur Senke.

Nun soll die ZAMG Station die teils sehr kalten Gebiete des Waldviertels auf offizieller Ebene erschließen und zeigen ob dort eine TAWES bzw. eine hochwertige Langzeitklimareihe Sinn macht. Soviel sei gesagt; die Daten der ersten Monate sprechen bereits Bände.

Schwarzauer Standort im Detail

Die Schwarzauer Station steht in einer flachen Senke auf ca. 800m Seehöhe. Derartige geologische Gebilde zeichnen sich durch ein schwaches Gefälle und einem hohen SkyViewFactor aus. Das schwache Gefälle ermöglicht eine langsame Fließgeschwindigkeit der Kaltluft. Durch einen hohen SkyViewFactor kann es in wolkenlosen Nächten ideal abstrahlen. Beide Faktoren sind für die Bildung eines markanten Kaluftlsees essentiell.

Ist die Senke weiters noch passend kultiviert; am besten mit Gras/Wiesen und ermöglicht die Geländeform nur einen geringen Abfluss der Kaltluft, entstehen bei passenden Bedingungen beeindruckende Kaltluftseen. All diese Faktoren sind an der Schwarzauer Station zutreffend und führen immer wieder zu außergewöhnlich tiefen Temperaturen.

Die Schwarzauer Senke im Februar 2022; Blickrichtung Süden

Die Schwarzauer Senke im Februar 2022; Blickrichtung Norden

Das selbe Phänomen führt auch im angrenzenden Mühlviertel oder im tschechischen Böhmer Wald zur Bildung von Kaltluftseen. Im Detail spielen noch weitere Faktoren wie Wärmefluss im Boden und Pflanzen oder Abwärme bei der Bildung von Tau oder Reif eine Rolle. Eine frische Schneedecke verstärkt die Abstrahlung bzw. Bildung zusätzlich.

Das gleiche Prinzip findet auch an den berühmten inneralpinen Kältestation wie St.Michael i. Lungau oder Radstadt Verwendung. Die TAWES in Gars am Kamp wäre ein weiteres Beispiel. Keine dieser Stationen ist als Extremstandort zu deklarieren, da Kaltluftseen ein Teil des dortigen Klima´s sind.

TAWES St.Michael im Lungau

TAWES Gars am Kamp

Kaltluftseen im Netz des CHMI

Unsere Nachbarn aus Tschechien sind der Thematik Kaltluftseen im offiziellen Stationsnetz schon deutlich weiter. Über den ganzen Böhmerwald verteilt gibt es gezielte Temperaturmessungen in dafür prädestinierten Tälern und Senken in Zusammenarbeit mit oder direkt vom staatlichen Wetterdienst CHMI. Eine dieser Stationen liegt direkt an der Grenze zu Österreich, nahe dem Grenzübergang Buchers bei Karlstift. Die zT. langen Messreihen zeigen dort wie kalt derartige Standorte werden können. Die “Meteorologická stanice – Perla” hält gleich mehrere Rekorde. Tagesgänge von über 30°C und ein absolutes Temperaturminimum von -41,6°C!

Position der Station Perla / Wikipedia Eintrag Perla

Tschechische Wetterstation bei Buchers

Technik der Station

Die Schwarzauer Messung basiert auf der technischen Plattform einer klassische Davis Vantage Pro 2 mit aktiver Belüftung und entsprechendem Stahlungsschutzschild. Den 10m Windmast ziert ein unbeheiztes Ultraschall Anemometer der Fa. LCJ Chapteurs.

Der SHT-31 Temperatur/Feuchte Chip der Fa. Sensirion befindet sich auf ca. 2m über Boden. Niederschlag wird aktuell noch mit dem original verbauten Davis-Kipplöffel erfasst. Da sowohl die erzwungene Höhe des Niederschlagsmessers, als auch der Kipplöffel starke Ungenauigkeiten in die Messung bringen, erfolgt eine baldige Umrüstung auf ein beheiztes 500cm² Ombrometer der Fa. Anton Paar mit 0,1mm Auflösung. Zusätzlich erhält die Station zeitnah ein Davis Pyranometer inkl. einer +5cm Temperaturmessung.

Da die Davis Plattform von Haus aus kaum Mittelungen durchführt,  werden derzeit auf minütlicher Basis gemittelte Werte für die Temperatur erstellt; TL, TLam, TLmin, TLmax. Ähnliches passiert beim Parameter Wind mit der Ausnahme des vektoriellen Mittels. Die Abtastrate beträgt beim Temperaturwert 10 Sekunden; bei Wind 2,5 Sekunden.

Eine Davis Weather Link Live Erweiterung ermöglicht zukünftig einen direkten Zugriff auf die gesamte Sensorik. Somit werden die gemittelten Temperaturwerte grundsätzlich der TAWES Plattform entsprechen, da die minütliche Datenbasis wegfällt und die gemittelten Werte auf Basis der angesprochenen Abtastrate gebildet werden.

Alle Sensoren sind ähnlich den TAWES Sensoren kalibriert bzw. getestet und erfüllen der Sensorik entsprechende Toleranzen. Die Messtoleranzen vom verbauten Temperatursensor sind im Schwarzauer “Datenportal” einsehbar.

T/RH Messung + Windmast; Blickrichtung Norden/Schwarzauer Hof

Highlights der  bisherigen Messreihe

Der bisherige Höhepunkt der Messreihe kam am 04.04.2022 gegen 7:00 Ortszeit. Dank frischer Schneedecke und sonst idealer Bedingungen, erfasste die Station ein Temperaturminimum von -21,3°C.  In der ersten schneebedeckten Nacht seit Aufstellung und nur zwei Monate nach Beginn der Messreihe, brach die Station bereits sämtliche April Allzeit Rekorde im TAWES Netz und unterbot sogar das 2021/22 Winter Minimum aus Radstadt. Erwähnenswert waren an diesem Tag auch die Abstände zur kältesten Waldviertler TAWES. Die Zwettler TAWES schaffte gerade einmal -8,5°C. Reichenau im Mühlkreis blieb bei -10,1°C stecken. Eine ÖBB Station beim Bahnhof Summerau schaffte zumindest -12,5°C.

Temperaturverlauf vom 04.04.2022

Aber auch in den Wochen & Monaten zuvor konnte die Station dank diverser stabiler Hochdrucklagen und teils ungewöhnlich trockener Luftmassen sehr tiefe Minima erreichen. Immer wieder bewegte sich das Thermometer ohne Schneebedeckung weit jenseits der -10°C Marke. Entsprechende Tagesgänge waren inklusive. Österreichweit konnte bei vergleichbaren Bedingungen keine Station im offiziellen Messnetz nur ansatzweise mithalten. Dieses Verhalten bestätigt den Trend tschechischer Stationen in vergleichbarer Lage.

Bleibt nur noch zu erahnen was möglich ist, wenn bei passenden Bedingungen winterliche, kontinentale Luftmassen Einzug halten. Werte jenseits der -30°C sind durchaus denkbar.

Die Daten sind aktuell im INCA Portal verfügbar; ob sie zukünftig auch über die TAWES Schnittstelle verfügbar sein werden, wird sich zeigen.

Für die breite Masse stehen die Daten auf jeden Fall unter https://schwarzau.tawes.at/ zu Verfügung. Seit einigen Wochen gibt es dort auch ein Datenarchiv!

Das Debakel hinter den Kulissen

Was viele nicht bedenken, ist das Debakel hinter den Kulissen. Wie geht man ZAMG-seitig mit solch einer Station um? Hat man die letzten 40 Jahre etwas verschlafen? Die Station misst noch keine klimarelevanten Werte, bricht aber jetzt schon länger bestehende Rekorde. Geht man in der Vorhersage zukünftig auf die Werte ein, da das Phänomen auch im bewohnten Gebiet auftritt? Oder wertet man die Daten wie bisher im Zuge der “Repräsentativität´s – Debatte” ab?

Sollte in der Schwarzauer Senke irgendwann eine fixe TAWES Platz finden, stellen sich weitere Fragen. Was bedeutet eine derartige Stationsergänzung fürs bestehende TAWES Netz? Gehören Kaltluftseen in Österreich allgemein besser erfasst? Wie bindet man Kalftluftseen im bewohnten Gebiet sinnvoll in Analysen und Modelle ein? Jede Senke bzw. Kaltluftsee hat natürlich eigene Dynamiken und Eigenheiten.

Sicher ist auf jeden Fall, dass die Schwarzauer Station eine sehr, sehr spannende Wetterstation ist und bis zum Ende des Testlaufs auch sicherlich bleiben wird. Wie´s danach weitergeht bleibt offen. 2022 bleibt´s auf jeden Fall bei einer Testmessung.

Einen weiteren Rekord gibt es noch: Es ist bis heute auch die einzige Teststation, die es jemals ins österreichische Fernsehen geschafft hat!