Die Geschichte der schiefen Niederschlagsmessung beginnt am Fr. den 10.6.2022. Dank einer verwellenden Luftmassengrenze fallen in Stockerau und Umgebung innerhalb von 12 Stunden über 60mm an Regen. Gegen Mittag dürfte diese Besonderheit der Anlass sein, dass einer der ORF Meteorologen der Station einen Besuch abstattet.

Zu dem Zeitpunkt gerade noch im Waldviertel bei einer Station, erreicht mich eine Nachricht, dass die Niederschlagsmessung in Stockerau schief sei. Beim Anblick der Bilder wird schnell klar, was passiert war.

Bereits im Juni 2019 wurde die Niederschlagssensorik der TAWES angefahren und komplett demoliert. Leider ist der Standort für solche Unfälle prädestiniert; nur einer von vielen Gründe, wieso die Station einen neuen Standort benötigt. Erst Ende April bekam die Station noch ihr letztes standardmäßiges Service. Zu dem Zeitpunkt war noch nichts schief…

Folgender Tweet entsteht zur Thematik:

Niederschlagsmessung im TAWES Netz

Im Verlauf des Tweets kommt die Bemerkung auf, dass kein Wippsystem für die Niederschlagsmessung verwendet wird. Es gibt natürlich diverse Sensoren bzw. Wege Niederschlag zu erfassen. Bis vor ca. 10 Jahren wurde Niederschlag im TAWES Netz quasi nur mit Wippsystemen gemessen. Seit einiger Zeit sind solche Sensoren jedoch am absteigenden Ast.

Wippsysteme

Das mechanische Prinzip ist recht einfach. Eine Öffnung definierter Größe sammelt den Niederschlag und führt in über eine Wippe, die bei einer bestimmten Menge kippt und so über einen Reed Schalter einen messbaren Impuls abgibt.

Das System funktioniert in der Praxis recht gut. Es gibt aber einige Schwächen die bis heute nur teilweise gelöst sind.

Bei sehr hohen Niederschlagsraten führt ein Wippsystem zu Messverlusten, da im Moment des Wippenschlags das Wasser an der Wippe bzw. Wippenteil vorbeiläuft. Außerdem müssen derartige Sensoren immer beheizt werden, um auch feste Niederschläge zu erfassen. Bei sehr schwachen Niederschlagsraten verdunstet so ein Teil des Niederschlags und führt wieder zu Verlusten. Wippsysteme sind auch deutlich wartungsintensiver, da die Öffnungen der Sensoren gerne verstopfen. (Laub, Dreck etc.) Es braucht daher immer einen Betreuer der sich um die Station kümmert, da sonst immer wieder Verstopfungen auftreten und gefallene Mengen nicht erfasst werden.

Vor allem wegen Verstopfungen und fehlender Betreuung, werden die Wippen seit Jahren weniger und gerne durch Niederschlagwaagen ersetzt. So auch bei der TAWES Stockerau. Aktuell sind im ZAMG Netz ca. 150 Waagen im Einsatz.

Niederschlagswaagen

Das Messprinzip von Niederschlagswaagen ist grundsätzlich auch wieder recht einfach. Ein Behältnis sammelt den Niederschlag. Das Gewicht des Behälters wird von einer Wägezellen konstant gemessen und so ergibt sich bei Niederschlag eine erfasste Menge. Mikrokontroller rechnen im Hintergrund laufend, um Fehlwerte zu vermeiden.

Die Vorteile dieser Sensoren gegenüber Wippen, liegen klar auf der Hand. Es wird keine Heizung benötigt, Verstopfungen sind dank der großen Öffnungen nicht möglich und sowohl hohe als auch niedrige Niederschlagsraten sind für Waagen kein Problem. Der Teufel liegt jedoch im Detail…

Die viele Elektronik macht Waagen für Defekte anfällig. Weiters fällt aufgrund der großen Öffnungen auch gerne Dreck und Laub in die Waage und wird als Niederschlag erfasst. Wägezellen sind außerdem wärmempfindlich und führen so immer wieder zu Fehlwerten. Das Volumen der Behältnisse ist begrenzt; je nach klimatischen Bedingungen muss eine Waage irgendwann entleert werden.

Der Vergleich zeigt, dass keines der beiden Messysteme perfekt ist. Der DWD verwendet mittlerweile wiegende Wippsysteme. Es wird das Wägeprinzip mit einem Wippsystem kombiniert. Auch diese Kombination hat ihre Probleme und ist keine endgültige Lösung.

Im Detail sind beide Messysteme sehr umfangreich und bekommen irgendwann eigene Blogeinträge!

Innenleben einer Niederschlagswaage

Zukunft der TAWES Stockerau

Auf Twitter kommt zudem zur Sprache, dass der Standort der Station schlecht sei und wohl bald Geschichte sein wird. Beide Aussagen stimmen teilweise. Es ist fraglich, wieso die Station ursprünglich überhaupt so platziert wurde.

Aktueller Standort

Es ist nicht schwer zu erraten, dass der aktuelle Standort nicht gerade passend ist. Auf einer Mülldeponie liegend, ist die Bebauung in der unmittelbaren Messumgebung recht hoch. Viel Beton, Häuser und der Hügel führen zu Temperaturanomalin. Dank der starken Abschattung fallen die Störfaktoren bei starker Einstrahlung kaum auf. Auch die Windmessung ist wegen des naheliegenden Hügels nicht hochwertig. Einzig für die Erfassung des Niederschlags und der Einstrahlung, ist der aktuelle Standort durchaus passend.

Aktueller Standort im Dezember 2021

TAWES der 1. Generation

Die Station existiert in der heutigen Form bereits seit den späten 90er Jahren. Im Mai 1997 entstand in Kooperation mit der Gemeinde Stockerau die damalige TAWES der 1. Generation. Wegen einer Niederschlagsmessung (klassisches Ombrometer) der Stadtgemeinde von 1994 bis 1997 genau auf dieser Wiese, dürfte die Wahl auf den bis heute aktuellen Platz gefallen sein. Der Standort war damals schon fragwürdig. Der Müllhaufen hinter der Station wuchs über die Jahre immer höher. Erst vor einigen Jahren entstand der betonierte Weg + Parkplatz nahe der Niederschlagssensorik.

Die TAWES 1. Generation im Jahr 2005

Die TAWES 1. Generation im Jahr 2005

Dachaufbau der 1. Generation

“Klimagarten” im Oktober 1999

“Klimagarten” im Oktober 1999

Versetzung der TAWES 2022/23

Stammleser des Blog wissen bereits, dass die Versetzung der Station beschlossene Sache ist. Derartige Messumgebungen erfüllen nicht die heutigen Standards für ZAMG Stationen und sind eher Überbleibsel vergangener Zeiten.

Aktuell befindet sich der neue TAWES Standort in der Bewilligungsphase. Verläuft alles nach Plan wird die Versetzung noch im heurigen Jahr stattfinden. Der neue Standort befindet sich am Flugplatz Stockerau. In Kooperation mit der ACG wird die TAWES zukünftig zur VAMES. Mehr zum neuen Standort im einem gesonderten Eintrag.

zukünftiger Standort der VAMES Stockerau im Jänner 2022

Sind die 66mm Niederschlag technisch plausibel?

Natürlich stellt sich jetzt die Frage, ob die erfasste Niederschlagsmenge trotz der bekannten Umstände technisch plausibel ist. Die Sensorik sollte bei jeder Station nahezu perfekt horizontiert sein. Sowohl technisch als auch meteorologisch gibt es diverse Gründe dafür. Vor allem bei Wippsystemen ist die Ausrichtung essentiell, da sonst das Wippintervall negativ beeinflusst wird und die Messung an Genauigkeit verliert.

Kaum Unterschiede

Im Zuge der Reparatur ergab sich eine Abweichung von 2,8° gegenüber Normalzustand. Auch die Kontrolle der Waage ergab keine Schäden oder höhere Messtoleranzen. Der Wägezelle ist es (über einen kurzen Zeitraum hinweg) ziemlich egal ob das Behältnis etwas schief aufliegt. Gut vergleichbar mit einer Küchenwaage!

Die Neigung der Sensorik ist in diesem Fall eher nur meteorologisch brisant. Während dem gesamten Niederschlagsereignis kam der Wind mit 30er Böen aus der Hauptwindrichtung West bzw. Nordwest. (wohlgemerkt auf über 10m) Da die Sensorik, mit Ausnahme Ost, in alle Richtungen gut geschützt und kaum stärkeren Wind ausgesetzt ist, ist der Einfluss auf die Messung deshalb schon vernachlässigbar. Anomalien bei Niederschlagsmessungen entstehen vor allem bei exponierten Standorten, wo eine Anströmung konstant Verwirbelungen am Sensor verursachen kann. Ist in Stockerau beim aktuellen Standort nicht der Fall.

Wie auf einem Twitterbild vom Daniel ersichtlich, fällt der Niederschlag bei einer konstanten Anströmung natürlich in einem anderen Winkel. Zusammen mit der nach SW geneigten Sensorik, ist zumindest eine leichte Erhöhung der Menge gegenüber einer Standard Ausrichtung denkbar. Aber auch dieser Faktor unterliegt Schwankungen und ist daher am Ende des Tages eher zu vergessen.

Am darauffolgenden Montag wurde das Malheur gleich wieder in Ordnung gebracht. Bleibt zu hoffen, dass bis zum endgültigen Abbau der alten TAWES kein RR-Unfall mehr passiert.

Es ist anzumerken, dass der Niederschagsrekord auch mit einer perfekt ausgerichteter Sensorik zu Stande gekommen wäre. Knapp über 60mm wären es sicherlich geworden. Die Messung des Parameter Niederschlags unterliegt jedoch so vielen Faktoren, dass sich selbst auf kleinsten Raum messbare und relevante Unterschiede ergeben.

Alle Beteiligte aus dem Twitter Post sind herzlich eingeladen, sich die verschiedenen Messtechniken für Niederschlag auf der Hohen Warte genauer anzusehen. Ein durchaus interessantes Thema!

Die Waage am Tag der Reparatur im schiefen Zustand

Waage wieder im geraden Zustand